Artur
»Wieder salonfähig: Der Partykeller«


Schummrig war er, eng und schön miefig: der gutbürgerliche Partykeller. Alltag und Anstand blieben oben im Wohnzimmer, die Kellerbar tief unten im Reihenhaus war zuständig für die Bauchgefühle der Deutschen, hielt Freunde, Leib und Seele dicht beisammen – und wurde geradezu Sinnbild für das wilde Wohlgefühl der Braven. Jahrzehnte später ist es wieder so weit: Das Partykellergefühl kommt zurück – als Label, ironisch geprüft.


Das dunkle Holz des Tresens, Wagenrad und Fototapete, alles atmete den Duft von Bier und Rauch. Nachbarin Brigitte und Onkel Gerd drehten sich zu Abba, Queen und Mireille Mathieu mit der Discokugel um die Wette, fast wie bei James Bond. Küssten sich irgendwann zwischen Käsepickern, Salzstangen und Mett-Igel. Um sich am nächsten Tag über die Hecke des Vorgartens womöglich wieder zu siezen. Doch in der Hausbar im Keller war die Welt in Ordnung. Hier unten ging es hoch her, man fühlte sich weltläufig und sicher zugleich, gut bevorratet im Keller, während oben der Kalte Krieg schwelte.

Später schlummerten die gemütlichen Haus- und Kellerbars lange in den Tiefen des kollektiven Gedächtnisses dahin. Was Ende der Achtziger nicht zu Hobbyraum und Abstellkammer umfunktioniert worden war, ging spätestens um die Jahrtausendwende auf in den Wohnküchen mit ihren Ess-Theken und Barhockern.

Vor allem die nächste Generation, denen die Partykeller nur als frühe Jugenderinnerung präsent war, brunchte nun zu jedem Anlass. Lässig und weltläufig stieß sie mit Prosecco an, schlürfte Latte Macchiato und feierte in der hellen offenen Küche ausgelassen bis tief in den Nachmittag. Doch irgendwann vermissten sie den wohligen Partykeller ihrer Eltern. Und das, was damals dazugehörte.

„Es gibt einen Verlust spontaner Geselligkeit in bestimmten Milieus mit der Konzentration auf Medien“, sagt Bernhard Tschofen, Professor für Empirische Kulturwissenschaft. Vor allem junge Kreative aus der Stadt feiern sich nun geradezu als neue, coole Spießer. Augenzwinkernd – durch dicke Brillen – machen sie es sich in Schrebergarten und Vereinsheim, Kellerclub und Eckkneipe mit Fototapete oder direkt an der Hausbar so richtig gemütlich. „Natürlich mit ironischer Brechung“, erklärt Tschofen. Es ist ein ganz anderes Milieu, was das heute zelebriert. Spießig ist nicht mehr spießig, sondern in. Selbstverständlich nur, wenn es als Label taugt.

Belustigt und doch mit einem Schuss Sehnsucht nennen die neuen Gemütlichen ihre Lounges und Clubs wieder „Hausbar“, „Sennhütte“ oder „Datscha“. Ausgehen im Keller ist wie Zuhausebleiben. Irgendwie doch gemütlich und fast wie früher. Nur dass es eben nicht Gefahr läuft, mal als spießig belächelt zu werden. Schließlich ist es das längst und funktioniert nur, weil es alle Beteiligten wissen. Auch oder gerade virtuell geht das Konzept auf. Kuckucksuhren, braun gemusterte Tapeten und Discokugeln prunken auf den Internetseiten der lässigsten Locations. Oder der zweitlässigsten. Wer das Partykeller-Image nämlich wirklich pflegt, taucht nicht auf jeder Veranstaltungsseite auf, sondern sorgt dafür, dass seine Freunde unter ihresgleichen bleiben. Wer lädt schon jeden in seinen Partykeller ein, außer der glücklosen Thessa? So exklusiv ist der Stuttgarter Kellerclub Dilayla nicht, er kramt für seine Online-Präsentation immerhin den Diaprojektor hervor. Zwischen Holzbalken und Perlenvorhang sitzt es sich in dem Laden auf Ledergarnitur oder Retro-Barhockern fast wie früher zu Hause. Sogar die Tanzfläche ist gemütlich. Flauschiger Tanz-Flor, nicht kühler Dancefloor, ist das Motto: auf dem Boden liegt – ein Teppich. Heimelig weiter geht es an den Wänden mit Strukturputz im rustikalen Wellenmuster und bunten Lichterketten. Damit liegt der Laden ebenso gut im Retrotrend wie mit einer Fototapete.

Auf Internetseiten wie fototapete.net lässt sich so ein Schmuckstück sogar mit eigenen Bildern gestalten und nach Hause bestellen. „Auch bei den Cafés hielt der Look mit der Fototapete wieder Einzug“, sagt die Münchner Architektin Veronika Immler, die für Nostalgiker ein Buch über die Siebziger gemacht hat. Sie ist überzeugt, dass die Partykeller der ersten Stunde auch etwas mit Scham zu tun hatten: ausgelassen hatte man noch nicht zu sein, zumindest nicht so offensichtlich. Also ging man zum Spaß haben dahin, wo keiner guckte. Es sich gutgehen lassen, steht auch heute oft im Vordergrund, nur dass man dafür nicht mehr in den Keller gehen muss – sondern will. Entweder zum Feiern wie in den Siebzigern, als man sich noch guten Gewissens in Zigarettenqualm und Polyester hüllen konnte. Oder zum Entspannen, da ist der Keller flexibel. „Inzwischen schaffen sich auch viele einen Wohlfühl- oder Filmraum an“, sagt Professor Tschofen.

Innenarchitekt Oliver Krinninger aus Passau hat letztes Jahr genau so einen Partykeller entworfen, der alles kann. Für einen Unternehmer, einen Mittdreißiger, baute er die moderne Variante: mit Flatscreen und Playstation, Musikanlage und Discokugel, Holzofen und Sesseln zum Entspannen. Alles integriert in eine Deko mit Natursteinen und Weinfässern. „Der Mann wollte einfach einen Raum zum Feiern und Relaxen“, sagt Krinninger. Und wahrscheinlich das wohlige Gefühl, nicht rausgehen zu müssen. In einem guten Keller ist schließlich alles da, was man zum Überleben braucht. Ähnlich wie in der Küche, nur eben so schön weit weg von der Welt. Trendforscher nennen dieses Einigeln mit Eventcharakter gern mal Erlebnis-Cocooning und sehen es wie jedes Cocooning als Reaktion auf Krisensituationen.

Auf den ersten Blick klingt ja auch alles nach Rückzug angesichts zahlreicher Turbulenzen, zumal sich auf dem Markt für Partykeller-Zubehör tatsächlich eine Hausbar mit dem schönen Namen „Finanzkrise“ findet. „Doch trotz der Krise kam der Outdoor-Boom, und es gibt nach wie vor große Festivals“, gibt Tschofen zu bedenken. So eindeutige, lineare Begründungen seien für die vielen unterschiedlichen Moden einzelner Milieus kaum zu finden. Heute sind die Trends wesentlich widersprüchlicher und differenzierter als noch vor 35 Jahren. Eben. Die letzte Gemeinsamkeit gehört gefeiert – und wenn es die Erinnerung an den Partykeller ist.

Klar ist für Tschofen: „Wir leben in der Zeit nach den Selbstverständlichkeiten, alles wird gelabelt“. Wer guten Geschmack hat, kocht nicht nur, sondern macht einen Thaifood-Abend, trifft sich nicht spontan am See, sondern stimmt sich mit Freunden via Doodle Monate im voraus über eine thematische Radtour ab. Und wer sich zurücksehnt, sucht ein skurriles Motto oder ein paar lustige Accessoires. „Bars mit entsprechendem Mobiliar wollen eine bestimmte Atmosphäre erzeugen“, sagt Tschofen, „sie geben Handlungsanweisungen, wie wir uns fühlen sollen.“ Ein Käse-Igel kann also ein klares Signal sein: einigeln und ruhig mal mit den Händen essen.


Erschienen in Artur, 2011.❦

riegel{at}dagny.de