Der Freitag
»Ab ins Becken«


In Düsseldorf bespaßte eine Hundephysiotherapie-Praxis Hunde und ihre Besitzer mit olympischen Wasser-Spielen. Geniale Idee – die brauchen schließlich auch mal Bewegung!


Hund und Trainerin in einem Schwimmbecken
20 Minuten nach Einlass liegt ein leichter Geruch nach Raubtierkäfig über dem Löricker Freibad in Düsseldorf. Die ersten Hunde sind im Becken. In orangefarbenen Schwimmwesten strampeln sie mit den Beinen – meist, um irgendwie wieder aus dem Wasser heraus zu kommen. Die Besitzer oder Helfer stehen daneben – meist, um sie irgendwie davon abzuhalten. Dafür gibt es Leckerli, buntes Plastikspielzeug und natürlich die Griffe an den Schwimmwesten. Rund 1.000 Menschen sind mit zu den Olympischen Wasser-Spielen der Hunde gekommen, die „Gangwerk“, eine Praxis für Hundephysiotherapie, zum ersten Mal veranstaltet. Es soll um Spaß gehen und zwar den der Tiere, wie die Ausrichter betonen. Mitmachen ist alles – und alles macht mit: Alte und dicke Hunde, winzige Feiglinge, Wasserscheue und Einzelgänger sind da. 25 Siegerkategorien, vom schönsten Weitsprung bis zur schnellsten Seniorin, und großzügige Messungen sollen klar machen, dass es hier nicht um einen ernsten Wettkampf geht, sondern um Spielchen und vor allem gesunde Bewegung für die Hunde.

Viele Hunde hocken an Werktagen genauso im Haus wie ihre Besitzer und bekommen die gleichen Krankheiten wie Bandscheibenvorfälle oder sie werden zu dick. Und nun haben sie eben die gleichen Sport- und Fun-Events. Es ist auch einfacher, den Hirtenhund ab und an zur Physiotherapie zu bringen oder eben zu Olympia mitzunehmen, als ihm eine Schafherde zum Hüten zu besorgen. Nur muss der Hund das erst einmal verstehen. Der kurzhaarige Mischlingshund Timba hat zwar keine Angst vor Wasser, will aber den Weitsprung ins Becken nicht auch noch von einer Rampe aus machen. Seine Besitzerin hat schon die Haare hochgesteckt und zieht schnell Hose und T-Shirt aus. Im geblümten Badeanzug läuft sie mit dem gelben Gummi-Spielzeug wedelnd vor ihrem Hund über die Rampe und springt unter aufmunternden Rufen einiger Zuschauer ins Wasser. Der braune Hund bleibt abrupt an der Kante stehen und guckt beeindruckt hinunter.

„Das liegt an der Höhe“, meint die Frau, zurück an Land, zu ihrer Bekannten. Als sie letztens vom Badesteg gesprungen sind, hat der Hund keine Angst gehabt, weil das Wasser trüb war und er die Tiefe nicht sah. Der Hund der Bekannten, ein kleiner weißer Mischling namens Bella, rennt sogar wieder zurück, kaum hat er von der Rampe hinunter geguckt. Beide Frauen sind öfter auf Veranstaltungen für Hunde oder machen selbst mit ein paar Freunden Ausflüge für ihre Hunde. Jeden Dienstag ist Bella außerdem bei Timba zum Spielen, so hat ihre Halterin einen freien Tag.

Ab in den Erlebnisparcours

Der Tag heute ist halb frei – für Hunde wie für Besitzer. Er ist irgendwo zwischen Erlebnispark, Musik-Festival und Bundesjugendspielen anzusiedeln. Die Hunde sollen nicht nur Weitsprung machen, sondern auch um die Wette schwimmen und den Vorführungen der Hundeschulen zusehen. Ins Babybecken mit Rutsche und Wasserpilz dürfen sie hinein und sie dürfen sich von einer Hundetherapeutin durch einen Erlebnisparcours mit Tunneln und Bällen führen lassen. Dazwischen müssen sie aber auch viel Schlange stehen und an anderen Hunden vorbei, die kläffen oder knurren.

Wenn sie nicht zu nervös sind, fotografiert Tierfotografin Bine Bellmann sie für zehn Euro vor türkisfarbenem Fotohintergrund. Und richtig Kamera-affine Hunde, die das Kommando „Bleib“ gut können, haben die Chance auf ein Film-Casting bei Animalstar, die schon Daisy Moshammer am Set von Unter Uns betreute. Ihr Stand ist direkt hinter der Eingangskasse, wo auch die Stände mit Futter, Leinen und Decken stehen und Leckerlis wie an der Supermarktkasse auf Augenhöhe der Zielgruppe angeboten werden. Eigentlich müssen die Hunde gar nicht auf die Filmtier-Agentur warten – ZDF, WDR und Co. sind eh schon da.

Ein älter Mann, der sehr aufrecht seinen Bauch vor sich her trägt, fragt ein Kamerateam, ob es seinen Hund im Bild habe, der sei schon mal im Fernsehen gewesen. Hat es. Der Hund, Paul, war auch schon auf anderen Events wie dem jährlichen Düsseldorfer „Dogday“ und auf Schönheitswettbewerben, wegen seiner Mandelaugen. Das Konterfei des Hundes, den Besitzer Hans Krämers vorher hatte, hängt als Madaillon um seinen Hals, darunter an der Brusttasche prunkt die rote Teilnehmer-Schleife der heutigen Wasser-Spiele. Paul ist mit Bella und Timba in der gleichen Weitsprung-Gruppe. Es ist aber nicht Krämers persönlich, der versucht, ihn ins Wasser zu kriegen, sondern seine Freundin. Immerhin bekommt sie ihn bei dem Gekläffe der anderen Hunde überhaupt dazu, zu springen. Paul stoppt kurz und hüpft.

„Mindestens zwei Meter“, schätzt Krämers. Bei Amerikanischen Meisterschaften liegen die Rekorde um die neun Meter. Da heißt die Disziplin „Dog Diving“ und ist eine Art Trendsport, der exakt per Video gemessen und mit Ehrgeiz betrieben wird, wie der Helfer am Beckenrand erklärt. Hier im Freibad bekommt ein Hund, der neben der Rampe ins Wasser plumpst, immer noch 20 Zentimeter aufgeschrieben und die Chance auf den Preis für Schönspringen. Auf die Kategorie ist Paul kein Anwärter, so tigerfell-artig wie er Arme und Beine von sich gestreckt hatte, aber immerhin ist er überhaupt gesprungen. Krämer und Freundin wirken nicht unzufrieden. Paul steht tropfend am Beckenrand und wartet, dass Krämers Freundin ihn zur nächsten Station führt. Er war unter den ersten Besuchern um elf Uhr und muss sich noch bis zur Siegerehrung um vier amüsieren, während sein Besitzer ein bisschen PR macht und dem einen oder anderen Interessierten erzählt, dass er die Asche des letzten Hundes in einer Urne im Wohnzimmer hat und seine eigene Asche einmal dazu kommen soll. Aber jetzt muss Paul weiter. Dabei steht auf seiner Leine doch groß „Couch Potato“.

Halsbandaufschrift „Müllschlucker“

Mit dem Schriftzug tritt er wohl in der inoffiziellen Kategorie „lustigstes Halsband“ an. Auf dem Nylon-Geschirr der Konkurrenten stehen Sachen wie „Müllschlucker“, „Blondenführhund“, „Biotonne“ oder „Nicht anfassen, nur gucken“. Nach T-Shirts und Kinderlätzchen jetzt also auch Hunde-Geschirre mit frechen Sprüchen. Es galt wahrscheinlich einfach eine Marktlücke zu füllen. Wie auch mit dem „Pedigree Pal“-Absperrband oder dem Buch zu Bach-Blüten-Therapie bei Hunden, das man kaufen kann, und der ganzen Veranstaltung überhaupt.

Bei Fotografin Bine Bellmann zählen Klamotten-Trends bei Tieren nicht. Sie fordert jeden Besitzer auf, dem Hund das Halsband abzunehmen, und fotografiert das Tier, wie es ist – ohne Styling und Deko. Aber wenn ein Halter seinen Hund kämmen will, soll er das ruhig tun. Der Erdail-Terrier, der gerade hereinkommt, braucht keinen Kamm. Seine junge Besitzerin, in hochgekrempelter Jeans und mit gut geschnittenem Kurz-Bob, legt darauf offenbar keinen Wert. Bereitwillig nimmt sie ihm das Flecktarn-Geschirr mit dem Schriftzug „Zicke“ ab und bugsiert ihn vor den türkisfarbenen Hintergrund. Im Eingang des kleinen Stands hechelt schon ein Schäferhund, der Hund der Fotografin läuft herum, und vom Becken gegenüber kommt wüstes Gekläff – der Erdail-Terrier ist nicht sehr entspannt. Er atmet hektisch und macht erst nach mehreren Fehlversuchen „Sitz“. „Manchmal kann man auch gar kein Bild machen, wenn die Tiere zu nervös sind, das wäre Quälerei“, sagt die Fotografin. Auf so einem Event hat ein Hund natürlich ohnehin schon mehr Stress als sonst.

Das eine oder andere mitleidige „Ohh“ ist auch zu hören, wenn eine Motorrad große Dogge sich vor Angst am Beckenrand festkrallt oder ein zotteliger Mischling aus der Kinderrutsche pladdert. Es sind aber die wenigsten, die ihren Hund triezen. Ein paar haben sogar weit weg vom Becken Stühle und Tische aufgebaut und gucken dem Spektakel zumindest zwischendurch von der ruhigen Liegewiese aus zu. Für die meisten scheint das Event ein netter Zeitvertreib für einen Sonntag zu sein, bei dem man schnell ins Gespräch kommt und viel zu Gucken hat. Zur Preisverleihung gehen viele gar nicht mehr. Eine Frau hat so wenig mit einem Preis gerechnet, dass sie ihren Dalmatiner schon reisefertig in einen überdachten Ziehwagen gepackt und ihn erst nach langem Gewurschtel wieder draußen hat. Und Tierpsychologe Martin Rütter, der bereits in der WDR-Show „Eine Couch für alle Felle“ zum Einsatz kam, verkündet fröhlich, dass es schon erstes Murren gab, weil die Gewinner-Hunde die vielen ungesunden Stufen der langen Siegertreppe hochsteigen müssen.


Erschienen in der Freitag, 2009.

riegel{at}dagny.de