Anmoderation: Beim Bäcker gibt’s Brötchen, beim Schreibwarenhändler Stifte, beim Metzger Mettwurst. Und bei Elli im Tante-Emma-Laden? Alles natürlich – sogar Sachen, die man gar nicht kaufen kann. Warme Worte und ein offenes Ohr etwa. Dagny Riegel hat sich umgehört in dem Laden auf der Bochumer Königsallee, der das ganze Viertel zusammenhält:
[Kassentippen]
Dreiundzwanzig, vierzig …
Erstens habe ich einen kleinen Tante-Emma-Laden, da gibt es alles. Dann hab' ich den Kioskbereich hier – also, da hab ich drei Tische stehen, da gibt’s Kaffee, da gibt’s belegte Brötchen, Zeitungen, Schulartikel.
Und noch viel mehr, sogar Sachen, die man gar nicht kaufen kann, wie ein paar warme Worte und ein offenes Ohr. Weiße Kittelschürze, Bluse und Pulli, die hellen Haare zurückgesteckt, so steht Elli Altegoer seit 1969 in ihrem Laden in Bochum. Ab sechs Uhr morgens, für alle, die irgendwas brauchen. Meist mit einem Kaffee in der Hand, einem Lachen im Gesicht und ein paar Kunden um sich herum. Wie Rentner Jochen …
[Kaffee plätschert in Plastiktasse]
So wie Kristalle sich um einen Festkörper bilden, so bildet sich ein Freundeskreis um Elli, und ja, der besteht aus Mitgliedern aller Schichten der Gesellschaft.
Und aller Altersgruppen. Die Schüler und Berufstätigen kommen früh morgens und zur Mittagspause, am späten Vormittag sitzen meist ein paar Rentner an einem der Tische. Die Wursttheke mit der alten Waage und den hellen Kacheln, das säuberlich sortierte Bonbonregal … der Laden atmet den Duft der Fünfziger und Sechziger. Und den von frisch gebrühtem Filterkaffee. Immer hat jemand Zeit für eine Tasse und einen Plausch. Und selbst wer nicht mehr so gut zu Fuß ist wie Rentner Jochen, wird versorgt.
Die meisten, die rufen an, was 'se brauchen – Elli bringt's. Elli trägt also Wasserkästen innen vierten Stock und sowas, für Leute, die das nicht mehr können.
Ohne Geld dafür zu verlangen. Das ist nicht ihre Art und macht auch keinen Sinn. Also fährt sie eine Stammkundin schonmal zum Arzt und gibt den einen oder anderen Kaffee aus. Viele aus der Nachbarschaft kommen jeden Tag – und wenn nicht, macht sie sich die rüstige Bochumerin Sorgen.
Hier mein Irmchen hier zum Beispiel, meine Dreiundneunzig-Jährige, die war gestern gar nicht da. Dann werd' ich schon unruhig, aber die Schwiegertochter sacht, is' alles in Ordnung, ich hab' dann gefragt.
Nicht nur die Kunden brauchen sie, auch sie braucht die Kunden. Frührentner Kalle hilft ihr oft, wenn etwas zu erledigen ist. Gerade trägt er eine sperrige Kaffeemaschine durch den Kiosk. Wie es wäre, wenn der Laden einmal zumacht, will er sich gar nicht ausmalen.
Dat wär' Scheiße, auf Deutsch gesacht. Und wenn die Elli jetzt zumachen würde, dann würde 'se auch einsam kaputtgehen. Denn die lebt für den Laden.
Und macht so lange weiter, wie ihre Gesundheit mitspielt. Ans Aufhören denkt sie gar nicht – oder nur, wenn man sie an ihr Alter erinnert.
Im letzten Jahr habe ich sehr überlegt, weil eine hat mich drauf aufmerksam, hat gesagt: Du bist jetzt schon so alt, willst du nicht aufhören? Da hab' ich gedacht, oh Gott, stimmt dat denn? Haha, Recht hat 'se ja, aber, alt bin ich, aber aufhören will ich eigentlich gar nicht, weil ich mich hier ja wohl fühl'.
Natürlich genießt sie auch mal die Ruhe im ländlichen Süden Bochums, wo sie mit ihren Geschwistern wohnt. Im Sommer fährt sie dort gern Fahrrad oder geht mit einer Freundin spazieren. Aber so ganz ohne ihre Kunden kommt sie selbst in der Freizeit nicht aus. Vor allem die Kinder hat die 72-Jährige gern um sich, wie Franka …
Wir waren auch schon ganz oft bei Elli und so, und wir sind eigentlich so gut wie verwandt so, wenn man das so sieht.
So sieht das nicht nur Franka, sondern auch ihre kleine Schwester, die schon Bonbons bekommen hat und Elli nun zur Wursttheke folgt, um ihr beim Brötchenschmieren zuzugucken.
[Tippelschritte] Komm mit, wir beide machen das jetzt. Wir machen das jetzt mit der Mortadella, ne.
Doch auch der schönste Besuch ist einmal vorbei. Mutter Daniela und Tochter Franka gehen zur Kasse. Als Beinahe-Verwandte können sie immer anschreiben lassen, wenn sie gerade nicht genug Geld dabei haben, aber das ist heute nicht nötig.
So, Elli, ich zahle jetzt: einen Käfer, ich weiß nicht wieviele Bonbons …
Vier.
… das belegte Brötchen, 'ne Caprisonne und 'nen Kaffee. Hab ich alles?
Ja, ich glaub' schon.
Dani, zwei Euro sechzig. Haha …
Da lachen ja die Hühner.
Gesendet im WDR/LebensArt.❦